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Jubilate: Johannes 15,1-8 - Reben im Weinstock Christi
von Johannes Calvin
1 Ich bin der rechte Weinstock, und mein Vater der Weingärtner. 2 Eine jegliche Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jegliche, die da Frucht bringt, wird er reinigen, daß sie mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, daß ich zu euch geredet habe. 4 Bleibet in mir und ich in euch. Gleichwie die Rebe kann keine Frucht bringen von sich selber, sie bleibe denn am Weinstock, so auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und müssen brennen.
V. 1. „Ich bin der rechte Weinstock ...“ Der Sinn dieses Gleichnisses läßt sich so zusammenfassen: wir sind von Natur unfruchtbar und dürr, sofern wir nicht in Christus eingepflanzt sind und aus ihm neue Kraft schöpfen, die nicht aus uns selbst erwächst. — Gleich hier am Anfang wollen wir uns die Regel einprägen, die bei allen Gleichnissen zu beachten ist: man darf nicht nach den einzelnen Eigenschaften des Weinstockes fragen; vielmehr ist im allgemeinen zu beachten, zu welchem Zwecke Christus jenes Gleichnis verwendet. Da sind nun drei Hauptpunkte zu nennen: daß wir nicht die Fähigkeit haben, gut zu handeln, wenn er sie uns nicht verleiht; daß wir in ihm unsere Wurzel haben und der Vater uns reinigt und großzieht; daß er die unfruchtbaren Reben wegwirft, damit sie im Feuer verbrennen. Lasst alle schämen sich zu leugnen, daß sie alles von Gott haben, was an ihnen gut ist. Aber dann stellen sie die Behauptung auf, die allgemeine Gnade sei ihnen in der Weise gegeben, daß sie ihnen von Natur angeboren sei. Christus aber besteht mit Nachdruck darauf, der Lebenssaft gehe von ihm allein aus. Daraus folgt: die menschliche Natur ist unfruchtbar, und es ist nichts Gutes an ihr. Denn an der Natur des Weinstockes hat niemand Anteil, bevor er nicht in ihn eingepflanzt ist. Das aber wird allein den Erwählten durch eine besondere Gnade zuteil. Der erste Schöpfer alles Guten ist also der Vater, der uns mit eigener Hand pflanzt; unser Leben aber nimmt in Christus seinen Anfang in dem Augenblick, in dem wir in ihm Wurzel zu schlagen beginnen. Wenn er sich den rechten Weinstock nennt, so ist es dasselbe, als hätte er gesagt: Ich bin wirklich der Weinstock; deshalb mühen die Menschen sich vergeblich, anderswo Lebenskraft zu finden. Gute Frucht wird nur von Reben kommen, die aus mir hervorgewachsen sind.
V. 2. „Eine jegliche Rebe ...“ Gottes Gnade wird von den einen um ihre Kraft gebracht, von anderen aus Bosheit in ihrer Wirkung gehemmt, von wieder anderen aus Trägheit erstickt. Deshalb ruft er Unruhe hervor, wenn er mit diesen Worten ankündigt, alle unfruchtbaren Reben müßten weggeworfen werden. Doch erhebt sich die Frage, ob denn einer ohne Frucht bleiben kann. Meine Antwort: nach Ansicht der Menschen gehören viele zum Weinstock, die in Wirklichkeit gar nicht in ihm wurzeln. So bezeichnet der Herr bei den Propheten als seinen Weinberg das Volk Israel, das sich selbst „Gemeinde" nannte.
„Und eine jegliche, die da Frucht bringt...“ Er lehrt mit diesen Worten, die Gläubigen bedürften ständiger Pflege, wenn sie nicht entarten sollten, und brächten keine gute Frucht, wenn nicht Gott sich immer wieder mit ihnen abgäbe. Denn es genügt nicht, daß wir einmal der Sohnschaft teilhaftig geworden sind: Gott muß seine Gnade auch weiterhin in uns wirken lassen. Von Beschneiden spricht er, weil unser Fleisch an überflüssigen und schädlichen Fehlern überreich und in dieser Hinsicht nur zu fruchtbar ist. Diese Fehler sprossen ohne Ende üppig empor, wenn Gott uns nicht mit seiner Hand reinigt. Wenn er sagt, die Weinstöcke würden beschnitten, um mehr Frucht zu bringen, so gibt er damit zu verstehen, welche Fortschritte die Frommen machen sollen.
V. 3. „Ihr seid schon rein um des Wortes willen...“ Er weist sie darauf hin, daß sie schon an sich selbst erfahren hätten, was er gesagt hatte. Sie seien ja nicht nur in ihn eingepflanzt, sondern gleichzeitig auch gereinigt worden. Er weist auf die Art der Reinigung hin, nämlich die Lehre. Ohne Zweifel spricht er von der äußeren Predigt, wenn er ausdrücklich auf die Rede hinweist, die sie aus seinem Munde gehört hatten. Solche Kraft hat die menschliche Stimme nicht an sich, sondern weil Christus im Herzen durch den Geist wirksam ist. Die Stimme ist das Werkzeug der Reinigung. Allerdings meint Christus nicht, die Apostel seien ohne Fehler. Vielmehr hält er ihnen eine Erfahrung vor Augen, aus der sie lernen sollen, wie nötig die dauernde Einwirkung der Gnade ist. Außerdem empfiehlt er ihnen die Lehre des Evangeliums durch den Hinweis auf ihre Frucht, um sie noch kräftiger anzuspornen, beständig über diese Lehre nachzudenken. Denn sie ist gleichsam das Messer des Weingärtners, mit dem er die Weinstöcke reinigt.
V. 4. „Bleibet in mir...“ Wieder mahnt er sie, die Gnade, mit der sie begabt sind, mit sorgendem Eifer festzuhalten. Das Fleisch kann gar nicht oft genug aus seiner Sicherheit aufgerüttelt werden. Ohne Zweifel hat Christus nichts anderes im Sinn, als uns bei sich festzuhalten - wie eine Glucke ihre Küchlein unter ihren Flügeln hält -, damit wir nicht aus Leichtsinn in unser Verderben von ihm forteilen. Er hat das Werk unseres Heils nicht begonnen, um auf halbem Wege damit aufzuhören. Um das zu beweisen, verspricht er, sein Geist werde stets in uns wirksam sein. Nur dürften wir selbst ihn nicht hindern. Bleibet in mir, sagt er, denn ich bin bereit, in euch zu bleiben; ebenso: Wer in mir bleibt, der bringt viel Frucht. Mit diesen Worten erklärt er, daß alle, die in ihm lebendig Wurzel geschlagen haben, fruchttragende Reben sind.
V. 5. „Ich bin der Weinstock ...“ Diese Worte enthalten den Abschluß und die Anwendung des ganzen Gleichnisses. Solange wir nicht in Christus sind, bringen wir keine gute und Gott wohlgefällige Frucht, weil uns jede Eignung fehlt, das Gute zu tun. Diesen Satz schwächen die Papisten nicht nur ab, sondern nehmen ihm seinen eigentlichen Nerv; ja, sie treiben ihren Spott mit ihm: sie geben zwar dem Wortlaut nach zu, daß wir ohne Christus nichts vermögen. Trotzdem träumen sie davon, eine gewisse Kraft stehe uns zu Gebote. Für sich allein reiche sie zwar nicht aus, um das Heil zu erlangen; wenn aber Gottes Gnade sie unterstütze, könne sie mit dieser zusammenwirken. Es ist ihnen nämlich unerträglich, den Menschen so erniedrigt zu sehen, daß er von sich aus auch nicht das Geringste zu seinem Heil beiträgt. Aber Christi Worte sind so klar, daß es nicht so einfach ist, mit ihnen Spott zu treiben. Die erdachte Behauptung der Papisten lautet: Ohne Christus vermögen wir nichts; trotzdem können wir, wenn er uns beisteht, etwas Eigenes vorweisen, das neben seiner Gnade steht. Christus dagegen verkündet, daß wir nichts aus uns selbst vermögen. Er sagt, die Rebe bringe von sich aus keine Frucht. Er hebt hier also nicht nur die Hilfe und Mitwirkung seiner Gnade hervor, sondern spricht uns ganz und gar jegliche Kraft ab außer der, die er selbst uns verleiht. Also müssen die Worte „ohne mich“ usw. so verstanden werden: einzig aus mir. Dann liefern sie noch eine Probe ihrer Spitzfindigkeit: Die Rebe, behaupten sie, habe eine natürliche Befähigung; wenn man einen anderen unfruchtbaren Zweig auf den Weinstock pfropfe, bringe er keine Frucht. Aber dieser Einwand läßt sich mühelos entkräften: Christus spricht nicht von den angeborenen Eigenschaften, die die Rebe schon vor ihrer Verbindung mit dem Weinstock hat. Vielmehr gibt er zu verstehen, daß wir erst dann anfangen, Reben zu werden, wenn wir mit ihm zusammengewachsen sind. Ohne Zweifel zeigt die Schrift an anderer Stelle, wir seien unnützes, trocknes Holz, solange wir nicht in ihm sind.
V. 6. „Wer nicht in mir bleibt. . .“ Wieder stellt er ihnen die Strafe vor Augen, die Undankbarkeit nach sich zöge, und spornt sie dadurch zur Beharrlichkeit an. Diese ist zwar ein Geschenk Gottes; aber die Mahnung zur Furcht ist darum nicht überflüssig: soll sie doch verhindern, daß unser Fleisch in seiner Zügellosigkeit uns aus unserem Wurzelboden herausreißt. Nach diesen Worten vertrocknen wie abgestorbene Reben diejenigen, die von Christus abgeschnitten sind. Denn ihre Lebenskraft muß wie am Anfang so auch auf die Dauer von ihm kommen. Nicht als ob einer der Erwählten jemals abgeschnitten werden könnte! Aber es gibt viele Heuchler, die jetzt anscheinend grünen und blühen, später aber, wenn sie Frucht bringen sollen, die Erwartungen des Herrn enttäuschen.
7 Wenn ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8 Darin wird mein Vater verherrlicht, daß ihr viel Frucht bringet und werdet meine Jünger.
V. 7. „Wenn ihr in mir bleibet...“ Oft meinen die Gläubigen, sie seien Bettler und fern von jenem fetten Boden, der dazu befähigt, reiche Frucht zu bringen. Deshalb wird hier ausdrücklich hinzugesetzt: was immer denen fehle, die in Christus sind, ihrem Mangel werde abgeholfen, sobald sie Gott darum bäten. Diese Mahnung ist von großem Nutzen: um uns im Gebetseifer zu üben, läßt Gott uns häufig hungern. Wenn wir aber unsere Zuflucht zu ihm nehmen, wird er sich unseren Gebeten nie verschließen, sondern aus seiner unerschöpflichen Fülle geben, was uns nötig ist (1. Kor. l, 5). Indem er sagt: Wenn meine Worte in euch bleiben, gibt er zu verstehen: es ist der Glaube, durch den wir in ihm Wurzel schlagen. Sobald man nämlich von der Lehre des Evangeliums abweicht, sucht man Christus dort, wo er nicht ist. Zwar verheißt er uns, alle unsere Wünsche würden erfüllt; aber damit räumt er uns nicht etwa die Freiheit ein, uns alles mögliche zu wünschen. Denn Gott erwiese unserem Heil einen schlechten Dienst, ließe er uns gegenüber eine derartige Nachgiebigkeit und Willfährigkeit walten. Es ist ja hinlänglich bekannt, was für verkehrte Wünsche die Menschen in ihrer Zügellosigkeit meistens haben. An unserer Stelle aber gibt er eine Weisung, die zeigt, wie man richtig beten soll, und die alle unsere Leidenschaften Gottes Willen unterwirft. Das wird durch den Zusammenhang bestätigt. Wie er zu verstehen gibt, wollen die Seinen keine Reichtümer, Ehre oder dergleichen, sondern die Lebenskraft des Heiligen Geistes, der es ihnen möglich macht, Frucht zu bringen.
V. 8. „Darin wird mein Vater verherrlicht...“ Das ist eine Bekräftigung des vorigen Satzes. Denn er sagt, man dürfe nicht den geringsten Zweifel daran hegen, daß Gott die Gebete der Seinen erhört, wenn sie danach begehren, fruchtbar zu werden. Nichts trägt nämlich so sehr zu seinem Ruhme bei wie dies. Dieses Ziel oder diese Wirkung dient ihm aber gleichzeitig dazu, den Eifer, das Gute zu tun, in ihnen zu entfachen. Denn nichts darf uns wichtiger sein, als daß Gottes Name durch uns verherrlicht wird. Denselben Sinn hat auch der später folgende Teil des Satzes und werdet meine Jünger. Denn er verkündet, zu seiner Herde gehöre nur, wer zur Ehre Gottes Frucht bringt.
Aus: Otto Weber, Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Das Johannesevangelium, Neukirchener Verlag, 1964, S. 369ff.